Amanda – eine unglaubliche Reise von Brigitte Kemptner

Amanda – eine unglaubliche Reise
Fantasy-Roman
Aufregung im Land der Fantasie! Dunkle Gestalten, angeführt von ihrem machthungrigen und hasserfüllten Meister, bedrohen die Völker der Zwerge, Wichtel, Elfen und anderer zauberhaften Wesen. Amanda, ein Mädchen aus dem Menschenreich, wird in die Geschichte verwickelt und erlebt ein gefährliches Abenteuer. Wird sie zur Rettung der Fantasiewelt beitragen können? Wenn sie doch nur wüsste, welche Tür die richtige ist …


Kemptner, Brigitte
Jahrgang 1952, wurde in einer hessischen Kleinstadt geboren. Aufgrund ihrer angeborenen Sehbehinderung besuchte sie eine Förderschule und arbeitete später als Phonotypistin im Öffentlichen Dienst. Heute lebt sie mit Mann und zwei Töchtern in Brühl bei Mannheim.

 

Leseprobe

… Zur Mittagsstunde des gestrigen Tages war Aldo ziemlich aufgeregt im Wichtelland erschienen. Der kleine Rabe war den Wichteln sehr verbunden, denn sie hatten ihm vor einiger Zeit das Leben gerettet. Das vergaß er ihnen nie.
Aufgeregt kam er angeflogen und rief schon von weitem: „Bolo! Bolo!“ Damit war der oberste Wichtel gemeint, zu vergleichen mit einem Bürgermeister in der Menschenwelt. Er wurde von allen Bewohnern des Wichtellandes mit Respekt behandelt.
Bolo hatte den Ruf gehört und stürmte noch recht verschlafen aus seiner Behausung. „Aldo, was gibt es denn so Wichtiges, dass du mich in meiner Mittagsruhe störst?“ Bolos Stimme klang nicht unfreundlich, denn wenn Aldo zu dieser Stunde, in der übrigens alle hier ihrer Mittagsruhe nachgingen, so aufgeregt angeflogen kam, musste es sich schon um etwas Dringendes handeln.
Aldo setzte sich auf eine aus dem Boden ragende Baumwurzel und schnatterte drauflos.
„Bolo, ich habe eine merkwürdige Beobachtung gemacht.“
„Und wo?“
„Dort, wo die vier Türen sind.“
„Du sollst dich doch von diesem Ort fernhalten“, sagte Bolo.
„Ja, ja, weiß ich doch. Ich bin nur ein bisschen im Wald umhergeflogen, als ich Stimmen hörte, ziemlich laut.“
„Und da konntest du nicht anders, als mal hinzufliegen und nachzuschauen, was da los ist, stimmt’s?“
„Ja, und du glaubst nicht, was ich dort gesehen habe.“
„Was denn? Nun spann mich nicht auf die Folter.“
„Auf dem breiten Weg, direkt bei den Türen, standen ein paar Zwerge und ein fremdes Wesen. So eines habe ich hier noch nie gesehen. Es hatte ein weißes Gesicht und lange Haare. Dünne Arme, und die Beine steckten in langen Hosen.“
„Und hast du gesehen, woher dieses Wesen kam?“
„Nein. Als ich dort ankam, war es schon da. Ich habe mich in einen Baum gesetzt und zugehört, wie die Zwerge gesprochen haben.“
Aldo machte eine Pause.
„Nun red doch weiter“, sagte Bolo aufgeregt, „und lass dir nicht jeden Satz aus der Nase ziehen.“
„Es war schon komisch, denn einer der Zwerge sagte zu dem Wesen: ‚Sieh mal da, dich kennen wir doch.‘“ Aldo holte tief Luft, bevor er weitersprach. „Dann haben zwei andere Zwerge einen Busch durchsucht und gemeint, dass außer dieser Person niemand mehr da sei, und sie marschierten in die Zwergenstadt. Ich flog umgehend hinterher, weil ich wissen wollte, was sie mit diesem Wesen vorhatten. Sie brachten es zu ihrem König.“

„Hm! Ist schon seltsam“, sagte Bolo und strich sich mit der linken Hand über den Bart. Das tat er immer, wenn er nachdachte oder besorgt war.
„Hast du sonst noch Beobachtungen gemacht?“
„Ich habe den ganzen Mittag in der großen Eiche gesessen, die direkt neben dem Haus des Zwergenkönigs steht und aufgepasst. Einmal bin ich sogar zu einem der Fenster geflogen und hab
mich auf den Sims gesetzt. Von dort aus konnte ich in den Thronsaal schauen. Der König saß an seinem Tisch und dieses Wesen neben ihm. Ich hörte zwar nicht, was sie sagten, doch sie schienen sich ganz gut zu unterhalten.“
„Und warum bist du nicht gleich zu uns geflogen?“
„Weil ich die Nacht abgewartet habe. Am Morgen saßen sie wieder am gleichen Tisch im Thronsaal. Außerdem wollte ich erst mit meiner Familie und den anderen Raben reden. Ich habe sie zusammengerufen und mich mit ihnen auf der großen Lichtung getroffen. Als ich ihnen von meiner Beobachtung bei den vier Türen erzählte, meinte einer meiner Vettern, dass dieses Wesen kein Bewohner von Fanggonien sein kann. Ein Onkel war sogar der Meinung, dass es sich um einen Spitzel der Gesichtslosen handeln könnte, der uns hier ausspionieren will. Wir sind zu dem Schluss gekommen, unsere Augen überall offen zu halten, damit nicht noch mehr dieser seltsamen Wesen hier auftauchen. Nach unserer Versammlung bin ich gleich zu dir geflogen.“
Bolo grübelte in seinen Bart und strich mehrmals darüber. Das, was Aldo gerade erzählt hatte, klang recht merkwürdig. War dieses Wesen ein Feind und die Zwerge mit ihm im Bunde? Bolo konnte sich das nicht vorstellen, denn die Zwerge hatten vor den Gesichtslosen genauso viel Angst wie er und sein Volk, auch wenn sie sich gegenseitig nicht mehr vertrauten.
Besonders ihm ging das sehr nahe, denn er war seit seiner frühen Kindheit mit Kuno, dem Zwergenkönig, befreundet gewesen. Bolo grübelte immer weiter. Plötzlich erhellte ein Geistesblitz sein Gesicht. Er musste sich Gewissheit über diesen Fremdling verschaffen, und das bedurfte keinerlei Aufschubs. Bolo verschwand in seinem Haus und kam in einem frischen Gewand wieder hinaus.
„Was hast du vor?“, fragte Aldo.
„Ich gehe in die Zwergenstadt und besuche meinen alten Freund Kuno. Es wird eine geheime Zusammenkunft zwischen uns sein, von der erst einmal keiner etwas zu wissen braucht. Ich kann mich darauf verlassen, dass du schweigst?“
„Klar, ich werde dich begleiten.“
„Nein, Aldo. Du wirst dafür sorgen, dass niemand von meinem Volk überhaupt bemerkt, dass ich fort bin. Auch dürfen sie nichts von dem Eindringling erfahren. Wie du das machst, überlass ich dir. Vor allem halte die Augen immer offen.“