Handicap-Liebe - Christiane Fischer

Cover Handicap Liebe

Leseprobe:
Christiane Fischer
Handicap-Liebe
Format 14 x 20 cm,
276 Buchseiten, Paperback
ISBN: 978-3-96174-096-3
November 2021 VK: 11,95 €
Edition Paashaas Verlag,
www.verlag-epv.de …
Lars Franke:

Der Name war mir ein Begriff. Er hatte damals eine vorbildliche Sportlerkarriere hingelegt. Sein Unfall vor einigen Jahren – eine Querschnittslähmung – hatte sich in der deutschen Presse wie ein Lauffeuer verbreitet. Mit einem verschmitzten Lächeln trat Torben geradewegs den Weg in die Höhle des Löwen an. Wie von selbst streckten sich meine inneren Fühler aus. Die Neugierde übermannte mich. Also googelte ich Lars Franke: Lars Franke, mehrfacher Leichtathletik-Medaillengewinner – nicht mehr zu stoppen. Wird Franke erneut Gold für Deutschland holen? Olympiasieger erleidet schweren Verkehrsunfall! Das Aus für seine Karriere? Er war auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn gewesen, als er einen tragischen Autounfall gehabt hatte. Anschließend hatte er “Power Roles“, ein Trainingscamp für Rollstuhlfahrer, gegründet. Das Center lebte von Spenden. Franke hatte eine Stiftung gegründet. Die Leute, die bei ihm trainieren wollten, brauchten keinen Cent zu bezahlen und mussten auch keine lästigen Anträge an ihre Krankenkassen schicken, in der Hoffnung einen Teil davon zurückerstattet zu bekommen. Ich fuhr mit meiner Zungenspitze über die Lippen. In meinem Kopf ratterte es, denn ich witterte in meinem unverbrauchten Ehrgeiz eine Chance, meine Karriere endlich vorantreiben zu können. Zumindest wäre es eine Möglichkeit, selbst, wenn sie noch so klein schien. Unruhig bewegte ich mich in meinem Stuhl auf und ab und verursachte ein Scharren auf dem Boden. Torben wirkte etwas zerknirscht und abgekämpft, als er aus dem Büro kam. Er zuckte hilflos mit den Schultern, als wollte er sagen: Ich werde Hendrik nie verstehen. Leicht gebeutelt trottete er zu seinem Arbeitsplatz zurück. Ich stand auf, straffte die Schultern, steuerte noch einmal Hendriks Büro an, klopfte zweimal und wartete gar nicht erst sein Herein ab, sondern trat ein und ging geradewegs auf seinen Schreibtisch zu. Hoch erhobenen Hauptes und mit in die Hüften gestemmten Händen stand ich vor ihm und hoffte, dass mich mein Mut nicht verlassen würde. Hendrik saß immer noch lässig an seinem Schreibtisch, ein Bein über das andere geschlagen und nippte ein wenig gequält an seinem täglichen Gemüse-Smoothie. „Was ist denn nun schon wieder?“, fragte er genervt, zog seine Brille von der Nase und legte sie auf den Tisch. „Gib mir eine Chance! Ich besorge dir ein Interview mit Lars Franke.“ Er lachte. Erst leise, dann immer lauter. Es war ein Glucksen und Schnauben. „Was ist bitte so komisch?“, fragte ich empört. Hendrik ließ genüsslich seinen letzten Lacher verebben. „Kann es sein, dass du vorhin an der Tür gelauscht hast?“ Ich spürte, dass ich rot wurde.

Christiane Fischer mit Buch

„Nein, hab ich nicht. Ich habe zufällig erfahren, dass du ein Interview von Lars Franke willst“, beharrte ich kleinlaut und strich mit den Fingerspitzen meinen Blazer glatt. „Ach, hast du das?“ Hendrik grinste. Seine Wangen waren leicht gerötet. Er schien sich immer noch über meine unbeholfene Art, für die ich mich verfluchte, zu amüsieren. „Dein Ehrgeiz in allen Ehren, aber du wirst nur – wie alle anderen – deine Zeit vergeuden. Ich habe ihm Geld für ein Interview geboten, viel Geld, beziehungsweise Torben hat das und zuvor war es Horst und dann Tobias.“ „Ich setze alles dran.“ Mein Herz pochte. „Lass mir den Versuch. Ich brauche das Geld, bitte!“ Meine Stimme zitterte. Ich fühlte mich wie eine armselige Bettlerin, und die war ich ja auch. Aber ich brauchte wirklich mehr Geld! Ich sah es Hendrik an: Er traute mir nicht mal den Versuch zu. Er stand auf, stellte sich ans Fenster und fixierte ein Eichhörnchen, das gerade an einem Garagendach hochflitzte. „Ich will nur eine einzige Chance! Dafür habe ich Journalismus studiert! Lass es mich wenigstens versuchen!“ Ungerührt und schweigend wandte Hendrik mir weiterhin den Rücken zu. Ich rieb mir über die Stirn, die Spannung war kaum zu ertragen. „Es ist wahrscheinlicher, ein Interview vom Papst zu bekommen als von diesem sturen Kerl. Du kennst Lars Franke nicht. Ich meine, ihn wenigstens ein bisschen zu kennen“, sagte er dann. Sein Feuerzeug klackte, er steckte sich wohl seine nächste Zigarette an. „Doch was, wenn ich dir eine Enthüllungsstory schreibe?“ Die Worte waren irgendwie aus mir herausgesprudelt, total unkontrolliert. Ein Klopfen an der Tür durchbrach die plötzlich aufkommende Stille. „Jetzt nicht“, brüllte Hendrik. Sein Blick haftete interessiert auf mir. Ich konnte nicht deuten, ob Bewunderung oder Verachtung darin steckten. „Wie, bitteschön, soll das gehen? Er hasst Paparazzi!“, sagte Hendrik und zog eine Augenbraue nach oben. Zu meinem Bedauern lag er damit richtig. Meine Mundwinkel erschlafften. Wenn meine geschätzten Kollegen keine Antworten auf gestellte Fragen aus Franke herauspressen konnten, wie um alles in der Welt sollte mir das gelingen? Ich hatte meinen Mund zu voll genommen. Mein Chef zog erneut die Stirn kraus und ließ sich in den Drehstuhl plumpsen. Bestimmt dachte er gerade über die nächste Schlagzeile nach. Am besten gehe ich jetzt, dachte ich. Vielleicht habe ich ja Glück, und er ist so in seiner Magazinplanung versunken, dass er nichts mehr zu mir und meinen kleinen Austicker sagen wird und dieses Gespräch auf sich beruhen lässt. Auf Zehenspitzen schlich ich Richtung Ausgang. „Nicht so schnell, Marie!“, rief er mir plötzlich eindringlich hinterher. Ich fuhr zusammen und drehte mich nervös um. „Wenn du wirklich deine Chance bekommen willst, ist der Plan folgender“, begann Hendrik beabsichtigt geheimnisvoll und mit einem verschwörerischen Grinsen im Gesicht. Ich schluckte bloß und ließ ihn mit einem eigenartigen Gefühl tief in meiner Magengrube fortfahren.